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Der Irrglaube vom „einfach besser machen“
„Beim nächsten Mal einfach besser machen.“
Dieser Satz klingt vernünftig – fast logisch. Doch er übersieht eine entscheidende Tatsache: Aus Fehlern zu lernen ist nicht selbstverständlich. Im Gegenteil – es ist eine der größten Herausforderungen im Berufsalltag.
Obwohl in vielen Unternehmen über Lernkultur, Resilienz oder Offenheit gesprochen wird, fällt es oft schwer, eigene Fehler offen anzusprechen. Und das hat weniger mit Unwille oder fehlender Kompetenz zu tun, sondern mit inneren Schutzmechanismen.
Warum Fehler schwer anzunehmen sind
Studien zeigen: Menschen lernen sehr gut aus den Fehlern anderer – aber deutlich schlechter aus ihren eigenen. In einer Analyse von Formel-1-Rennen (Jia, Tost & Fisman, 2022) zeigte sich: Fahrer lernten effizient aus Fehlern der Konkurrenz, aber kaum aus ihren eigenen.
Warum? Weil eigene Fehler das Selbstbild angreifen. Wer sich als kompetent, verantwortungsvoll oder souverän wahrnimmt, gerät innerlich in Konflikt, wenn ein Fehler passiert.
Drei psychologische Hürden
Die Harvard-Professorin Amy C. Edmondson (2019) nennt drei zentrale Gründe, warum es uns so schwerfällt, aus Fehlern zu lernen:
Aversion: Fehler sind unangenehm. Um das Gefühl zu vermeiden, werden Ausflüchte gesucht oder die Bedeutung des Fehlers heruntergespielt.
Konfusion: Einerseits heißt es: Fehler sind willkommen. Andererseits erleben viele im Alltag das Gegenteil – unangenehme Blicke, Schuldzuweisungen oder Sanktionen.
Angst: Wer einen Fehler zugibt, fürchtet Ablehnung, Kritik oder berufliche Nachteile.
Psychologische Sicherheit: Der Schlüssel zum Umgang mit Fehlern
Psychologische Sicherheit bedeutet: Ich kann im Team ehrlich sagen, was ich denke – auch wenn es unangenehm ist. Ich kann zugeben, wenn mir ein Fehler passiert ist. Ohne Angst vor Spott, Abwertung oder Sanktionen.
Google hat im Projekt „Aristotle“ (2015) untersucht, was erfolgreiche Teams auszeichnet. Das überraschende Ergebnis: Nicht Fachwissen, nicht Erfahrung – sondern psychologische Sicherheit. Sie war der wichtigste Faktor für Vertrauen, Innovation und Teamleistung.
Fehler sind nicht alle gleich – und das ist wichtig
Fehler ist nicht gleich Fehler. Manchmal geht etwas schief, weil man müde war, sich vertan hat oder Informationen fehlten. Manchmal liegt die Ursache tiefer – etwa bei überlasteten Prozessen, unklaren Zuständigkeiten oder widersprüchlichen Erwartungen.
Fehlerkultur bedeutet nicht, alles zu akzeptieren oder nicht mehr hinzuschauen. Im Gegenteil: Eine gute Fehlerkultur unterscheidet zwischen kleinen Ausrutschern und strukturellen Problemen – und geht beide an.
Wer immer nur die Einzelperson kritisiert, übersieht oft die eigentliche Ursache. Wer aber jeden Fehler ignoriert, riskiert, dass aus Kleinigkeiten große Schäden entstehen. Entscheidend ist: Fehler ernst nehmen, aber nicht dramatisieren. Offenheit ermöglichen – und trotzdem Verantwortung stärken.
Im besten Fall hilft ein Fehler, etwas sichtbar zu machen, das vorher niemand gesehen hat. Genau das ist der Beginn von echtem Lernen.
Wie sich gute Fehlerkultur zeigt – ein konkretes Beispiel
In einem Teammeeting weist jemand offen darauf hin, dass ein wichtiger Kunde keine Rückmeldung erhalten hat – und dass es an einem selbst lag. Die Teamleitung reagiert nicht mit Vorwürfen, sondern fragt: „Was hat zu diesem Fehler geführt – und wie können wir das gemeinsam künftig verhindern?“
Dieses Verhalten signalisiert: Hier darf man Fehler benennen. Und genau das macht Lernen möglich.
Fehlerkultur zeigt sich nicht im Leitbild, sondern in solchen Momenten. Im Tonfall. In der Reaktion. Im Alltag.
Was du selbst tun kannst
In Teamrunden oder bei Retrospektiven kann es sehr hilfreich sein, gezielt über Fehlermomente zu sprechen – nicht zur Bloßstellung, sondern zur Normalisierung.
Ein einfaches Format: Eine Person überlegt sich eine Situation, in der ein Fehler passiert ist. Wer möchte, teilt diese Erfahrung. Danach wird gemeinsam reflektiert: Was war hilfreich? Was hätte unterstützt, offener damit umzugehen? Anschließend formuliert das Team einen gemeinsamen Satz, zum Beispiel:
„Wir dürfen Fehler machen – und daraus lernen.“
„Offenheit ist wichtiger als Perfektion.“
Fazit: Der Umgang zählt
Niemand ist fehlerfrei. Und niemand sollte es sein müssen. Entscheidend ist, wie wir im Team mit Fehlern umgehen. Ob wir sie ignorieren oder nutzen. Ob wir sie zum Schweigen bringen – oder zum Wachstum.
Fehlerkultur entsteht nicht durch große Ansagen, sondern durch konsequentes Handeln im Kleinen. Wenn es gelingt, entsteht ein Umfeld, in dem Lernen möglich ist – und Zusammenarbeit sich besser anfühlt.
Was kannst du heute tun, damit dein Team offener mit Fehlern umgeht?
Quellen:
Google re:Work (2015): Project Aristotle
Amy C. Edmondson (2019): The Fearless Organization
Jia, S., Tost, L.P. & Fisman, R. (2022): Learning from Failure: Evidence from Formula 1 Racing. Strategic Management Journal